9. November 2023

Tote Pferde und kein Ende

Das Bild des toten Pferdes kennt im Vertrieb praktisch jeder. Kaum eine Metapher ist so bekannt wie diese. Man sollte meinen, dass dieses Phänomen also durchgängig klar ist und die damit verbundene Gefahr leicht zu beherrschen wäre. Weit gefehlt. Es scheint irgendwie in der Natur der Vertriebler zu liegen, nur schwer eine Verkaufschance zu canceln oder ein „Nein“ über die Lippen zu bringen. Warum das so ist und vor allem: wie es besser funktioniert – das wollen wir nachfolgend beleuchten.


Bild: Tote Pferde reiten – das Thema bleibt dasselbe. Die Bilder ändern sich.

Tote Pferde im Vertrieb

Eigent­lich haben wir schon zweimal gedacht, das Thema wäre durch und das Projekt ist unter­schrifts­reif. Dann kommt plötzlich aus dem Fach­be­reich eine weitere Idee und neue Anfor­de­rungen, ein neuer Entschei­dungs­träger taucht auf oder der Einkauf fordert eine Ausschrei­bung. So oder so ähnlich – die Liste der Möglich­keiten ist sehr lang – kennen viele Vertriebler ihre leid­vollen Erfah­rungen im Projektgeschäft.

Hoffnung ist gut – aber nicht als Strategie im Vertrieb

Viele reagieren darauf mit … Hoffnung. Dieser eine zusätz­liche Schritt noch, diese Runde nochmals mit dem Neuen. Die Ergeb­nisse sind selten gut. Die Hoffnung, dass nach der nächsten Aktion die Entschei­dung durch ist, stirbt zuletzt.

Alltag und häufige Stra­te­gien im Projektvertrieb

Eine Entschei­dung zu treffen, birgt immer Unsi­cher­heit. Im Vertriebs­alltag machen wir das häufig unbewusst. Zwei Alltags-Stra­te­gien beherr­schen uns hier:

  1. Das haben wir schon immer so gemacht
  2. Der Kunde sagt, wo es lang geht

Beide Vorgehen sind gefähr­lich, wenn wir uns nicht explizit darüber Gedanken machen.

Best Practice

Das bewährte Vorgehen in unserem vorge­dachten Vertriebs­pro­zess mit immer ähnlichen oder sogar gleichen Schritten bringt oft viele Vorteile. Wir können unsere Erfahrung einbringen, kennen die Situation und können unsere und die Ressourcen des Kunden optimal nutzen. Wenn alles Ok ist.

Je mehr wir uns auf unser best practice Vorgehen verlassen, desto weniger achten wir auf Warn­zei­chen. Eine Entschei­derin, die dann doch nicht beim Meeting dabei ist. Eine Verzö­ge­rung aus unbe­kannten Gründen. Ein Berater, der sich plötzlich einbringen darf. Und so weiter. Dies wäre der Punkt, sofort zu stoppen und das bisher geplante Vorgehen bewusst zu hinterfragen. 

Kunden-Führung

Die Vorge­hens­weise kommt von Kunden­seite. Sie geben die Schritte und Kriterien klar vor (typisch: Ausschrei­bung). Am Beginn ist das oft völlig in Ordnung und nach­voll­ziehbar. Kunden führen ihren Auswahl­pro­zess nun mal gerne selbst. Oft markieren wir das sogar positiv als Beleg für:

  • Der Kunde hat ein Projekt und
  • wir sind ernsthaft dabei.

Zwei Aspekte können schnell kritisch werden.

1. Es ist ein Selektionsprozess.

Nüchtern betrachtet schränkt der Kunde also die Menge der Anbieter auf eine möglichst kleine Zahl ein, um nach­fol­gend mit möglichst wenig Ressour­cen­ein­satz die beste Entschei­dung herbei­zu­führen. Wenn wir dies nicht absolut bewusst und zum richtigen (frühen) Zeitpunkt analy­sieren, dann verlassen wir uns zu lange darauf, ernsthaft im Spiel zu sein. Genau dieses Vorgehen entspricht – wieder nüchtern betrachtet – unserem Selek­ti­ons­pro­zess: wir fokus­sieren uns auf die (möglichst kleine) Menge an Verkaufs­chancen, bei denen wir wirklich im Spiel sind. 

2. Der Kunde forciert den Prozess aus seiner Sicht und Erfahrung.

Im Normal­fall besitzen wir als Anbieter breitere oder spezi­fi­schere Erfahrung im Thema. Oft haben wir gute Ideen für alter­na­tive Aktionen oder Einbezug anderer Lösungs­aspekte, die sogar dem Ziel des Kunden noch zuträg­li­cher wären. Allzu oft fügen wir uns in der Praxis dem Kunden­vor­gehen und wider­spre­chen nicht ausrei­chend. Der Haupt­grund hierfür sitzt bei den Vertrieb­lern, und sehr tief: die Angst vor Ablehnung. Die Angst ein Nein zu kassieren.

Warum es so schwer ist

Zurück zum toten Pferd. Das Prinzip Hoffnung dominiert dann, wenn uns die Klarheit fehlt. Dann vernebelt uns Hoffnung eben den klaren Blick auf die wirkliche Kundensituation.

Wenn sich Anzeichen mehren, dass etwas nicht 100%ig passt, müssen wir abwägen: Den einge­schla­genen Pfad verlassen und keine weiteren Ressourcen und Energie in das Projekt inves­tieren oder die Kröte schlucken und nach Kunden­wunsch den weiteren Schritt gehen. 

Syste­ma­ti­sche Denk­ver­zer­rung: Versenkte Kosten

Diese rationale Abwägung geschieht, wie in Entschei­dungs­si­tua­tionen gegeben, immer unter Unsicherheit.

Die so genannte »sunk cost fallacy« schnappt dann zu, wenn wir schon viel Zeit, Geld und Energie aufge­wendet haben. Je mehr wir schon in ein Projekt inves­tiert haben, desto höher ist der Drang, das Projekt weiter­zu­führen, auch wenn es objektiv betrachtet keinen Sinn ergibt.

Tatsäch­lich ist es im Kern irra­tional, die inves­tierten Ressourcen der Vergan­gen­heit zu berück­sich­tigen. Die rationale Abwägung sollte einzig und allein die jetzige Situation bewerten, um daraus die zukünf­tigen Chancen einzuschätzen.

 Daneben steht uns grund­sätz­lich noch ein typisch mensch­li­ches Verhalten im Weg, früh­zeitig ein Nein zu setzen. Wir alle wollen glaub­würdig sein. Dieser psycho­lo­gi­sche Aspekt führt zu möglichst konsis­tentem Verhalten. Eine ursprüng­lich getrof­fene Entschei­dung zu revi­dieren bedeutet, einen Wider­spruch zu erzeugen. Dagegen wehren wir uns intuitiv so lange wie möglich.

Wie kann es (besser) gehen

Bei den üblichen lustigen Ansätzen zum Thema tote Pferde lächeln wir ja gerne milde: Reiter wechseln, anderer Sattel, neue Bewertung usw.

Im Lösungs- und Projekt­ver­trieb kann es durchaus komplex sein, tote Pferde zu händeln. Die gute Nachricht ist: es gibt bewährte Techniken, die hier größ­ten­teils funk­tio­nieren. Die schlechte Nachricht: es braucht ein wenig Mut und Standhaftigkeit.

Im Sinne der Vertriebs­ef­fi­zienz muss quasi die eine Strategie im Vorder­grund stehen: Tote Pferde syste­ma­tisch früh erkennen und unwirk­same Aktionen verhindern.

Das kleine Attribut syste­ma­tisch macht es aus. Mit Methodik entkommen wir am ehesten den Denk­feh­lern, falschen Annahmen oder im Vertriebs­alltag schnell forcierten Aktionen.

Im Übrigen fühlt sich diese Strategie für manchen viel­leicht etwas egois­tisch oder zu Business-bezogen an. Nein – auch aus zwischen­mensch­li­chen Aspekten halte ich dieses Vorgehen für richtig: Wenn wir uns vorher intensiv mit der Kunden­si­tua­tion beschäf­tigen und ernsthaft inter­es­sieren, dann liefern wir schon ganz viel. Dann haben wir, zumindest wenn eine part­ner­schaft­liche Ebene ange­strebt ist, immer das Recht auch etwas einzu­for­dern. Wenn wir dann wenig ergeb­nis­för­dernde oder unsinnige Aktionen verhin­dern, schützen wir auch die Ressourcen des Kunden.

 

1. Syste­ma­tisch: Qualifizieren

Bewusstes und syste­ma­ti­sches Quali­fi­zieren ist eine der besten Maßnahmen gegen Miss­ver­ständ­nisse und falsche Annahmen. Mehr noch – es ist im Kern auch eine vertrau­ens­bil­dende Vorgehensweise.

Komplexe Verkaufs­chancen und Projekt­kon­stel­la­tionen können wir nur sinnvoll behandeln und gute Antworten liefern, wenn wir Hinter­gründe oder „Insights“ kennen und verstehen. Das heißt die Fragen, welche alle Vertriebler stellen (WAS? WIE? WANN? WER?) reichen nicht aus.

Ob es die frühe Frage nach dem WARUM ist oder die Impli­ka­ti­ons­fragen nach dem WAS, WENN …? bzw. WAS, WENN … NICHT? – erst hier können wir oft mit indi­vi­du­ellen Lösungs­an­sätzen oder ganz banal der spezi­fi­schen Über­set­zung unserer Lösung in die Welt des Kunden die Entscheider und Beein­flusser wirklich abholen.

 

Wissen ist Macht

Zwei Tipps noch: Aus der Trainings-Praxis mit vielen Vertriebs-Mitar­bei­tenden haben wir oft gutes, inten­sives Quali­fi­zieren gesehen. Leider weist solcher­maßen gutes Vorgehen oftmals zwei Defizite aus: es erfolgt intuitiv und nur durch die indi­vi­du­elle Erfahrung des jewei­ligen z. B. Account Managers und – es erfolgt zu spät wirklich umfassend. Die z. B. Account-Managerin gibt sich am Beginn mit einfachen Infor­ma­tionen zufrieden und geht zu spät erst in die Tiefe.

Tipp Nr. 1:      Früh­zeitig aktiv qualifizieren

… und damit eine Infor­ma­tion mehr vom Kunden oder der Ansprech­part­nerin kennen als die anderen.

Tipp Nr. 2:      Metho­disch qualifizieren

… sodass alle im Team daraus dasselbe Verständnis gewinnen und partizipieren.

Genau hieraus gewinnen wir unser Wissen, auf dessen Basis wir eine Bewertung reali­sieren können. Keine Annahmen, keine Vermu­tungen.
Wissen ist immer ein macht­volles Instrument.

 

2. Immer: Vogelperspektive

So einfach kann es manchmal sein. Wenn wir durch die Brille des Kunden oder (spezi­fisch) der Entschei­derin blicken, wird uns die Situation oft trans­pa­rent. Das ist also nichts anderes als von oben aus der Vogel­per­spek­tive (Meta-Ebene) draufzuschauen.

Zum Beispiel: Wir stehen mit dem Kunden vor dem nächsten wesent­li­chen Schritt. Er hat uns beschrieben, wie wichtig die nächste Maßnahme, beispiels­weise eine Konzept­vor­stel­lung oder eine Lösungs­prä­sen­ta­tion in Workshop-Atmo­sphäre, für ihn sei.

Fragen aus der Vogelperspektive:

  • Wenn das wirklich so ist: Warum kommt dann die Entschei­derin [XY] nicht mit dazu?
  • Wenn es der Kunde wirklich ernst meint, mit dem nächsten Schritt vorwärts zu kommen: Warum kann bzw. will er uns kein Commit­ment geben, bei erfolg­rei­chem Erreichen eine passende weitere Aktion zu planen.

 

3. Früh: Drivers’s Seat

Im Vertriebs­pro­zess Führung zu über­nehmen, braucht als Voraussetzung

  • Vertrauen des Kunden in uns bzw. in mich
  • den Anspruch und damit das Vorgehen, dies zu erreichen.

Keines­wegs ist damit gemeint, den Kunden zu bevor­munden. Vielmehr denken wir für den Kunden den Vertriebs­pro­zess voraus.

 

Bad news early is good news. Oder: Suche früh nach dem „Nein“

Ein alter Grundsatz im Projekt­ver­trieb heißt: Suche früh nach dem „Nein“.

Mit dem Vorgehen, Führung zu über­nehmen forcieren wir manchmal das „Nein“, welches uns klarmacht, dass hier etwas nicht stimmt. Auch frühes und metho­di­sches Quali­fi­zieren zahlt genau hierauf ein. Je früher wir verstehen, ob es ein unüber­wind­bares Hindernis oder einen Gegner gibt, desto besser. Ein „Nein“ heißt natürlich nicht immer, dass wir draußen sind, klar. Ein „Nein“ kann einfach nur bedeuten: Hier fehlt auf Seiten des Kunden noch Zeit oder andere Ressourcen. Auch dann lohnt es sich nicht, einfach weiterzumachen.

Um zu unserem modernen Bild des toten Pferdes zurück­zu­kehren: Lohnt es sich noch, denn Rennwagen wieder und wieder zu polieren? Ist er überhaupt noch fahr­tüchtig? Das gilt es laufend zu prüfen. Und gerade weil wir den Wagen so lieb­ge­wonnen haben, lassen wir uns vom Hochglanz gerne blenden.

Niemand würde wohl seinen Wagen noch einmal waschen und auf Hochglanz polieren, bevor er ihn zum Schrott­platz bringt. Richtig? Warum inves­tieren wir also in Oppor­tu­ni­ties, die offen­sicht­lich „tot“ sind noch unsere wertvolle Energie. Wohl nur, um kurz­fristig ein gutes Bild abzugeben. Und: die Hoffnung stirbt zuletzt.

Effek­tiver ist es doch, den Status aktiv und bewusst zu prüfen.

Valide Methoden dazu gibt es. Konkrete Techniken unter­stützen Sie dabei, einen Total­schaden syste­ma­tisch früh zu erkennen, und unwirk­same Aktionen zu verhin­dern. Sehr häufig ist das der größte Hebel, den wir in Richtung Effi­zi­enz­stei­ge­rung ansetzen können.

Also: Polieren Sie nur die Wagen, mit denen Sie wirklich vorwärts kommen. Das macht nämlich Freude.

Kern­aus­sagen

  • Den Begriff des Toten Pferdes kennt im Vertrieb jeder. Dennoch fällt es vielen schwer, damit umzugehen und auch einmal „Nein“ zu sagen oder eine Oppor­tu­nity zu canceln. Dabei ist dies in bestimmten Fällen sinnvoll.
  • Bewährtes Vorgehen bringt Vorteile – birgt aber auch die Gefahr, nicht auf die projekt­spe­zi­fi­sche Situation zu achten und zu lange nicht die Signale zu bemerken, dass eine Oppor­tu­nity nicht erfolg­ver­spre­chend ist.
  • Hoffnung ist keine Strategie im Vertrieb. Statt­dessen ist es ziel­füh­rend, Tote Pferde syste­ma­tisch früh zu erkennen und unwirk­same Aktionen vermeiden.
  • Oftmals werden (auch unter­be­wusst) alle bishe­rigen Inves­ti­tionen in die Projekt-Bewertung einbe­zogen. Für eine rationale Bewertung der Verkaufs­chance ist jedoch nur die jetzige Situation relevant.
  • Wissen ist Macht. Zu mehr Infor­ma­tionen gelangen Sie, indem Sie früh­zeitig aktiv und mit Methode qualifizieren.

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